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Mitten im Leben trotz Intensivpflege
Julian bestreitet die Deutschstunde heute fast allein. Dennoch reagieren seine Mitschüler nicht genervt. Dauerreden und Vielmelden sind sonst nicht unbedingt seine Art. Doch die ganze Klasse weiß: Dass der 14-Jährige so viel zum Thema erzählt, hat persönliche Gründe. Auf dem Lehrplan steht die Märchennovelle Undine des romantischen Dichters Friedrich de la Motte Fouqué. Darin geht es um einen Ritter, der sich mit einem halbgöttlichen weiblichen Wassergeist vermählt, sein Treuegelöbnis bricht und dafür bestraft wird, indem ihn der betrogene Elementargeist mit Küssen und Umarmungen erstickt. Zu Wassernymphen hat Julian freilich eher wenig Kontakt. Vielmehr kennt er sich mit der Sage aus, weil er unter dem Undine-Syndrom leidet. Dessen Name geht auf die Sagengestalt zurück: Betroffene dieser seltenen angeborenen Erkrankung des zentralen Nervensystems sind ohne künstliche Beatmung in ständiger Erstickungsgefahr, weil sie über keine normale, spontane Atemregulation verfügen. Manche benötigen die Beatmung nur nachts, andere auch zum Teil oder komplett tagsüber. Julian wird nachts mit einer Maske beatmet und steht unter permanenter Überwachung durch eine examinierte Krankenschwester, welche seine Blutgaswerte und den Sauerstoffgehalt des Blutes kontrolliert und bei Bedarf Druck und Frequenz anpasst. Am Tag kann Julian selbstständig atmen, bei drohender Hypoventilation oder für Phasen der Ermüdung greift er aber auf die Maske zurück. Wenn Jugendliche in Julians Alter das erste Mal davon erfahren, fällt meist das Wort »krass«. Doch aus Julians Blickwinkel ist die Maskenbeatmung ein Schritt in die Normalität. Zuvor wurde er durch ein Tracheostoma, eine operativ angelegte Luftröhrenöffnung nach außen am Hals, beatmet. Anders als im Krankenhaus, das Julian im Laufe seines noch jungen Lebens, wie er findet, schon viel zu oft von innen gesehen hat, ist er durch die Kombination aus Heimbeatmung und begleitetem Schulbesuch stets im Kontakt zu Freunden, Familie und Klassenverband. Bald möchte er sich einen Zwerchfell-Schrittmacher implantieren lassen und dadurch unabhängiger werden. So seltsam es klingt: Julian hat einen langen Atem.
Dies ist nur ein Beispiel für unsere Unterstützung von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der häuslichen Intensivpflege. Wir pflegen darüber hinaus Kinder mit Querschnittlähmungen, neuromuskulären Erkrankungen, Hirn- und Lungenschädigungen, schweren Gendefekten und anderen Syndromen, die eine behandlungspflegerische Versorgung durch medizinisch ausgebildetes Personal notwendig machen.